Am Küchentisch – Welchen Nutzen hat heute noch ein Mensch? – von Martin Hagererer – WZ 01.05.2023

Beim Küchentisch in der Bandfabrik sprachen Experten über die Zwei-Klassengesellschaft

Wut im Bauch hatten sie alle: „Konzerne raus aus dem Gesundheitswesen!” gehörte beim Format „Am Küchentisch” ebenso zu den Eingangsstatements wie „Alle Gymnasien abschaffen!”. 

Bemerkenswert beim gesetzt-kultivierten Rahmen der Bandfabrik – und glaubwürdig durch die Akteure: In der Reihe „Am Küchentisch” versammelt waren drei Praktiker: Auf dem Podium saßen Karl-Heinz Krauskopf, einst leitender Oberarzt am Helios-Klinikum, Inken Vollmering vom Düsseldorfer Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete sowie Lars Büttgenbach, Leiter der Hauptschule Oberbarmen. Etabliert und unaufgeregt auch der Moderator, Manfred Rekowski, früherer Präses der evangelischen Kirche im Rheinland.

 Man wusste, wovon man sprach, als es in der April-Ausgabe des Küchentischs ums Thema „Verwertbarkeit von Menschen” ging. Dass Menschen nach ihrer vermeintlichen Nützlichkeit kategorisiert werden, wurde gar nicht erst als Möglichkeit diskutiert – vielmehr war dies für die Runde längst tägliche Tatsache. „Die materiellen Möglichkeiten von Menschen beziehungsweise ihre wirtschaftliche und politische Verwertbarkeit machen den Unterschied”, griff Moderator Rekowski eine Feststellung aus dem Ankündigungstext auf – und jeder der drei wusste den Befund aus seinem Bereich zu bestätigen.

Lehrer Lars Büttgenbach hob vor allem auf die Herkunft von Schülern ab, die allzu oft über ihren Werdegang entscheide. Von Bandfabrik-Gastgeber Erhard Ufermann etwas blumig als Held vorgestellt, sprach der Pädagoge weniger von Details an seinem teils als „Brennpunktschule“ geltenden Haus, sondern prangerte ein Versagen der Politik an: Verantwortlich fürs Abwerten von Schülern wegen ihres Hintergrunds seien mäßig kompetente Entscheidungsträger. „Ich sehe eine Führungskrise, besonders im mittleren Segment.”

Bei Migrationspraktikerin Inken Vollmering – sie arbeitet in der Trauma-Ambulanz – stand im Fokus, wie schwer Geflüchteten unter anderem aus Syrien der Weg ins Gesundheitssystem gemacht werde: „Der Zugang ist sehr hochschwellig”, sagte sie. Ohne entsprechende Anerkennung sei dann medizinische Versorgung allzu oft nur in akuten Notfällen garantiert. Ihr Wunsch: „Das Asylbewerberleistungsgesetz muss weg.”

Vielleicht der Fatalste von den drei vertretenen Ressorts schien das Konzept „Verwerten” im Fall von Mediziner Krauskopf. Kern seines Vorwurfs: Die Gewinne von Krankenhauskonzernen „ziehen die Kosten aus dem Gesundheitssystem heraus”. Kurz: Die Rendite bleibt nicht drin. 16,5 Prozent: Ganz konkret bezifferte der Herzchirurg den Profit, der bei manchen Eingriffen pro Patient anfalle – und etwa Operationen nicht zuletzt lukrativ mache. Bei Autos seien es ungefähr acht.

Der ernüchternde Befund bei den Dreien war das eine – hinzu kam ein Appell: Einen Nutzen für die Gesellschaft hätten oft auch jene sehr wohl, denen er gern abgesprochen werde. Was freilich hieß, sich auf einen Anspruch an Brauchbarkeit grundsätzlich einzulassen. Aber eben auf andere Weise: Lehrer Büttgenbach plädierte mit einem Botanik-Vergleich dafür, Schülern mit schwächeren Leistungen auf ihre Art einen Ertrag zuzutrauen, etwa durch persönliche Qualitäten: „Auch wild zu wachsen, kann sinnvoll sein.”

Und Migrationsexpertin Vollmering berichtete von einem Roma-Mann, der nicht mehr habe arbeiten können und die Bedingung, sich selbst zu finanzieren, daher nicht mehr erfüllte. Folge: „Die Aufenthaltserlaubnis war futsch, die Abschiebung drohte”, erklärte Inken Vollmering. Der Grund sei aber gewesen, dass seine Frau nach schweren Kriegserlebnissen krank geworden sei und er sich um sie kümmern musste. Was so viel bedeutete wie: Sich der Familie zu widmen – auch das ist kein kleiner Nutzen.

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