Matthias Neumann – Die vergänglichste Kunst überhaupt (von Daniel Diekhans – WZ 09.02.2022)

Matthias Neumann stellt in der Bandfabrik aus

Fotografieren ist für Matthias Neumann die vergänglichste Kunst überhaupt. Denn es braucht nur Millisekunden, um auf den Auslöser einer Kamera zu drücken – und schon ist ein neues Bild im Kasten. Dabei ist der Augenblick, den die Aufnahme festhält, in Wirklichkeit bereits vorbei.
Fotografie als ein Ausdruck von Vergänglichkeit – diesen Gedanken, der den Foto-Künstler Neumann seit Langem beschäftigt, hat er zum Thema seiner ersten Ausstellung in der Bandfabrik gemacht. Die Werkschau „Vergänglich“ füllt die hellen Räume an der Schwelmer Straße mit Aufnahmen, die auf hochwertigem Papier oder auf Alu Dibond groß abgezogen worden sind. So müssen die Bilder nicht durch Rahmen „begrenzt“ werden und entfalten ihre volle Wirkung. Dass Neumann Stillleben und Landschaftsbilder zu kleinen Zyklen zusammengefasst hat, entspringt der Idee, mit der Ausstellung „einen Kreislauf, das Zyklische des Lebens“ darzustellen. Die Motive reichen von Fundstücken aus dem Gelpetal, die vor weißem Hintergrund zu schweben scheinen, bis hin zu den Blickfängen einer Reise ans Meer. Der Betrachter hat zum Beispiel einen Berg leerer Jakobsmuscheln vor sich, die nur noch von Ebbe und Flut bewegt werden – die historische Bezeichnung für Stillleben, „Natura morta“, lässt sich also wörtlich nehmen. Dynamik bringt Neumann in seine Landschaften, indem er die Kamera heftig bewegt und die „Verwischungen“ durch lange Belichtungszeiten weiter steigert. Dadurch verlieren die abgelichteten Wälder und Gebäude nicht nur ihre räumlichen Bezugspunkte, in Neumanns Worten wird sogar „die Zeit ausgehebelt“. Diese Finessen wie auch den philosophischen Überbau hätte Neumann wohl nicht entwickelt, wenn er Hobby-Fotograf geblieben wäre. Doch der Bratscher des Wuppertaler Sinfonieorchesters traute sich mehr zu und bat nach über 15 Jahren Dienst um die Reduzierung seiner Stelle auf eine halbe. Der damalige Orchesterchef Kamioka gab ihm Rückendeckung, und ab 2009 konnte der Berufsmusiker in Bielefeld künstlerische Fotografie studieren. Das Studium schloss er als „Master of Arts“ ab, und auch der 1. Preis beim internationalen Wettbewerb „Glanzlichter 2010“ stärkte ihm den Rücken. In der Bandfabrik wird unter anderem die Serie „Urbanics“ gezeigt, mit der Neumann 2015 am „Opus“-Fotografiepreis teilnahm und die 2020 als Bildband erschien. Neben den kontrastreichen Stadtansichten kommen aber auch die klassischen Genres zum Zuge. Ein Porträt sei das Schwierigste, sagt der Fotograf, was er sich vorstellen könne: „Diesmal hab ich mich getraut, eines auszustellen.“ Das Bildnis einer jungen Frau, die einem Zwanziger-Jahre-Film entstiegen sein könnte, gilt ihm als Sinnbild des „blühenden Lebens“. Erhard Ufermann, Gastgeber der Vernissage, gab gerne zu, kein Experte für Fotografie zu sein. Dennoch hätten ihm Neumanns Bilder viel zu sagen, spräche aus ihnen doch „ein leidenschaftliches Interesse am Rhythmus des Lebens“.

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